über

Willkommen im Raum des Ungewissen

Das Projekt dark matters lädt seit 2017 in unterschiedlichen Veranstaltungen und Formaten dazu ein, den Kräften und Phänomenen nachzugehen, die neben den menschlichen Handlungen das Zusammenleben bestimmen. Wir lauschen den unerhörten urbanen Schichten und Atmosphären und dem vielstimmigen Gewimmel jenseits des Menschlichen. In Filmreihen, Soundinstallationen, Festivals, Hörgängen, interdisziplinären Recherchen und Interviews, Ausstellungen, Lesungen und Vorträgen suchen wir nach ständig neuen künstlerischen und gesellschaftspolitischen Rahmungen und vielgestaltigen Kooperationen.
Inspiriert ist das Projekt durch Denkweisen und Forschungen der Teilchenphysik: Unter Einsatz gigantischer Teilchenbeschleuniger, mit einer Vielzahl an Expert*innen wird weltweit an etwas geforscht, das sich weder mit den menschlichen Sinnen, noch mit den aktuellen Messmethoden exakt bestimmen oder nachweisen lässt und bei dem derzeit davon ausgegangen wird, dass es bis zu 95% unseres Universums und der dort herrschenden Kräfte ausmacht: Die Dunkle Materie und die Dunkle Energie. Den mit dieser Forschung verbundenen Drang danach, Licht ins Dunkel zu bringen und die Selbstverständlichkeit im Investieren ungebremster Energien in die Suche nach dem großen Unbekannten, übertragen wir mit in dark matters auf städtische und gesellschaftliche Zusammenhänge: Was ändert sich im Gefüge von Hierarchien, Macht, Menschenbildern und Weltsichten, wenn wir auch hier die These aufstellen, dass 95% dessen was passiert, von unsichtbaren Phänomen und Energien bestimmt wird und damit nicht auf erschlossene Materien zurückführbar ist? Wer oder was reguliert, was ins Licht öffentlicher Aufmerksamkeit gelangt? Durch welche Kräfte und Energien ist unser tägliches Leben tatsächlich bestimmt? Was macht eine Stadt aus, neben dem, was sich alltäglich darbietet? Welche im Dunkel liegenden Steuerungsmechanismen emanzipieren sich von menschlichen Zugriffsmöglichkeiten? Wie vernetzen sich Pilze, wo verlaufen Datenströme, wie verbreiten sich Bakterien und Viren? Aktueller denn je stellt sich spätestens seit Ausbruch der Corona-Pandemie die Frage, wer oder was unsere Bewegungen und Handlungen leiten und einschränken, wie selbst- oder fremdbestimmt wir leben und in welchen Formen von Netzen, Gemeinschaften und Gesellschaften die Stadt jenseits der Oberflächen organisiert ist.

 

Viren

Viren breiten sich aus. Sie nisten sich parasitär ein, vermehren sich, mutieren und übertragen sich von Organismus zu Organismus. Manchmal sind sie harmlos für den Menschen und bleiben unbemerkt, dann wieder lösen sie unaufhaltsame Zerstörung aus. Die Existenz von mehreren Millionen verschiedenen Virenarten wird vermutet, bislang sind jedoch lediglich um die 3.000 Virenarten identifiziert worden. Viren befallen Zellen von Pflanzen, Pilzen, Bakterien und allen Tieren einschließlich des Menschen. Als infektiöse Partikel können sie von Wirt zu Wirt übertragen werden. Was Viren von diesen Wirten unterscheidet, ist, dass sie selbst nicht aus Zellen bestehen und keinen eigenen Stoffwechsel besitzen. Daher werden sie nicht zu den Lebewesen gerechnet. Man kann sie aber zumindest als „dem Leben nahestehend“ betrachten, denn sie besitzen allgemein die Fähigkeit zur Replikation und Evolution. Sie bedienen sich für die Vermehrung des Stoffwechsels der Wirtszelle. Zu diesem Zweck übernehmen Viren nach dem Eindringen in die Zelle die Kontrolle und veranlassen die Wirtszelle, alles Nötige für ihre Vervielfältigung herzustellen.

 

Pilze

Ein Pilz ragt  aus einem feuchten Holzstück. Zu sehen ist jedoch nur ein Bruchteil. Unter der Erde ein unüberschaubares Geflecht, bis zu einem Quadratkilometer groß. Pilze ziehen sich durch Pflanzen, fressen sich in Gemäuer, überwuchern Wege und dringen hinein in den menschlichen Organismus. Sie bilden das dritte große Reich der Lebewesen neben den Tieren und Pflanzen. Ihre Bedeutung für die Ökologie und Ökonomie ist noch nicht vollständig erforscht und liegt noch teilweise im Dunkeln. Pilze vermehren sich ungeschlechtlich, ohne Befruchtung, durch Sporen, die jahrhundertelang überleben können. Aufgrund ihrer Widerstandsfähigkeit gegen biologischen Zerfall findet man Sporen oft in fossilen und geschichtlichen Ablagerungen. In der Archäologie und Paläontologie dienen sie als Indizien für Datierungen, Umweltbedingungen und Klimaveränderungen. Pilze sind keinesfalls nur giftig und krankheitserregend, sondern bauen auch toxische und umweltschädigende Stoffe ab. Neben den Bakterien sind Pilze für die Zersetzung und den Abbau aller Organismen verantwortlich und halten so den gesamten ökologischen Stoffkreislauf am Laufen. Doch wie kann man den Sporen auf die Spuren kommen? Was kann man von ihren verzweigten Geflechten lernen? Und was haben Pilze und Menschen gemeinsam?

Daten

Unsere Räume, Körper und Gehirne sind durchzogen von Datenströmen, unsichtbar kreuzen sich um und in uns komplexe Informationen, abstrakt und verfügbar zugleich. Jeder Handyanruf innerhalb einer Stadt nimmt den Umweg über das Weltall, jede Suchanfrage verlässt den Kontinent und kehrt nach der Dauer eines Blinzelns in die Stadt zurück. Neuronale Netze, menschengemacht, dem Gehirn nachempfunden, der menschlichen Wahrnehmung und Kontrolle entzogen. Dennoch nachvollziehbar gebaut und konstruiert: Algorithmen aus 1 und 0. Dennoch überlisten sie menschliche Strategien und entfalten scheinbare Eigenleben. Während Datenschutz und Transparenz aneinander hängen und zugleich ihre Kräfte messen. Wer speichert wo? Wer verbreitet, wer schützt? Wer weiß was?

 

Müll & Abwasser

Die Infrastruktur der Stadt baut auf dem Verbergen auf. So schnell es geht, sollen sie verschwinden, die unangenehmen, überflüssigen, stinkenden Restprodukte der Körper und menschlichen Zivilisation. In einem Netz des Abtransports werden Abwasser und Müll aus den Städten und den Augen entfernt. Unterirdisch eine parallele Stadt, ein Kreislauf des Abtransports, der Aufbereitung, der Erneuerung. Materien werden abgestoßen, transformiert und aufgewertet. Sie verändern ihren Aggregatzustand und gelangen in neuer Gestalt wieder in den Alltag zurück. Andere Materien bleiben, halten an ihrer Gestalt fest. Sie lassen sich nicht zersetzen, resistent gegen den Verfall, trotzen der Zeit. Werden zu Zeugnissen, überdauern ihre organischen Zeitzeugen und das gezielt Konservierte. Vor der Haustür werden Tonnen geleert und unbemerkt abtransportiert. Überschuss und Absonderungen verschwinden spurlos aus den Häusern. Aber welche Wege nehmen sie? Welche Kräfte sind am Werk, um das Kraftwerk Stadt zu betreiben?

Ablagerungen

Unter dem Asphalt der Straßen, der wie eine Versiegelung über den Schichten der Stadt liegt, lagern die Materien der Vorzeit. Gegenwart häuft sich auf Gegenwart, obenauf die lesbare Oberfläche. Darunter Überreste anderer Generationen, anderer Systeme, anderer Werte. Zersetzte Strukturen, konservierte Momente. Menschen, Steine, Pflanzen, Tiere, Kunststoffe, Mikroben. Eine Ausgrabung, unergründetes Untergründiges wird ans Tageslicht befördert, aus dem Kontext entnommen, mit neuen Kontexten versehen. Aber wer sagt, ob es sich bei diesen lange verborgenen Dingen um Wertgegenstände handelt, ob sie gestern eine Funktion hatten, ob sie heute und morgen von Bedeutung sind?